Was Doppelnamen für Gleichberechtigung bedeuten könnten

Geht es nach Marco Buschmann, dem Justizminister, soll die ganze Familie bald Doppelnamen führen. Das ist lange überfällig. Dabei tun sich deutsche Gesetzgeber mit dem Konzept seit Jahrzehnten schwer. Aus völlig irrsinniges Gründen, wie sich herausstellt. Eine Analyse am eigenen Beispiel zeigt: Viel früher hätte die Justiz handeln müssen. Andere Länder machen es seit Jahren vor und mein Fall ist nicht der letzte, der zu spät von einer Reform profitiert würde.

Techjournalist
10 min readMay 8, 2023
Buschmann möchte mehr Doppelnamen. Der Einsatz ist lobenswert, kommt aber für meine Tochter und viele andere Eltern viel zu spät

Marco Buschmann möchte ein neues Namensrecht. Das geltende sei hoffnungslos veraltet, twittert er Ende März. „Wir modernisieren es endlich!“. Unter anderem sollen Paaren und deren Kinder ab 2025 echte Doppelnamen aus den Nachnamen der Eltern formen können.

Für meine Tochter kommt dieser Vorschlag zu spät. Meine Frau und ich haben uns letztes Jahr für genau so einen Doppelnamen interessiert. Wir wollten Gleichberechtigung. Das Geburtenbüro in München lehnte unseren Antrag ab. Man sagte uns, es lohne sich noch ein Weilchen abzuwarten. Vielleicht ändere sich das Gesetz noch einmal, so die Beamtin.

Aber Abwarten war keine Option. Das Kind war da. Es brauchte einen Namen. Und sie bekam einen. Nämlich den des Vaters. Am Ende war das für uns einfach praktischer. Dabei hätte Buschmanns Vorschlag für uns exakt ins Schwarze getroffen. Was für unser Kind zu spät kommt, könnte für zukünftige Eltern ein Ausweg raus aus dem patriarchischen Namensrecht bedeuten.

Buschmanns Vorschlag geht in die richtige Richtung. Mehr Freiheit, hin zu mehr Gleichgerechtigkeit zwischen Müttern und Vätern. Er ist aber bei Weitem kein revolutionärer Ansatz. Eigentlich ist er eher ein alter Hut. Wie ein guter Song aus den 90er-Jahren, wurde das Konzept heute neu vertont und an eine jüngere Zielgruppe vermarktet. Wie man an meinem Beispiel sieht, findet es durchaus neue Fans.

Um das näher zu erklären, starte ich am besten bei einem echten Durchbruch, im Jahr 1976. Zumindest bezogen auf die Gleichberechtigung in der Namensgebung wurde hier Geschichte geschrieben. Bis 1976 mussten Frauen den Namen des Mannes bei der Eheschließung annehmen. Seit dem 19. Jahrhundert war das in Deutschland so vorgeschrieben und war schon vor der Einführung der Standesämter vielerorts Brauch. Nun konnten Paare auch den Namen der Frau als Ehenamen wählen. Ein Hit also? Leider Nein. Die meisten deutschen Ehepaare werden dieser Option aus Traditionsgründen noch weitere vierzig Jahre wenig Beachtung schenken.

1991 gab es dann den nächsten Durchbruch. Endlich konnten Frauen, aber auch Männer, ihren Nachnamen behalten. Das war, und ist bis heute besonders interessant, für Ehen ohne Kinder. Mit der Änderung wurde jedoch eine Lösung für die Nachnamen der Kinder nötig. Sie kommen darauf! Die simpelste Lösung waren Doppelnamen. Wer damals mitgefiebert hat, dem muss Buschmanns Vorschlag heute wie ein Dejavue vorkommen.

Im April 1994 ruderte der Gesetzgeber aber streng zurück. Er lehnte Doppelnamen einfach wieder ab. Warum dieser plötzliche Sinneswandel? Da es sich lediglich um eine Übergangsregelung handelte, hatte das Parlament das letzte Wort. Und das spielte einfach nicht mit. Ute Sacksofsky, eine deutsche Rechtswissenschaftlerin und seit 2014 Vizepräsidentin des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen, schrieb in der feministischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Homme, dass hier Tradition eine Rolle spielte. Der Rechtsausschuss hat die Möglichkeit eines Doppelnamens abgewehrt, aus Angst, das Namensgefüge in Deutschland könnte sich nach wenigen Generationen grundlegend ändern. Dass diese Angst unbegründet ist, zeigten ein Dutzend anderer Länder mit Doppelnamen, wie Großbritannien, weite Teile Skandinaviens, Portugal, Spanien, Polen. Ja, selbst die Schweiz hat einen Gefallen an dem sogenannten Allianznamen gefunden. Die Welt ist deswegen auch noch nicht untergegangen.

Zeitraffer ins Jahr 2022: Doppelnamen für Kinder sind deutschlandweit immer noch verboten. Seit 1994 gab es ein Dutzend erfolgloser Klagen von Eltern, die Doppelnamen einforderten. Der Gesetzgeber bleibt hartnäckig. Offiziell mit der Erklärung, dass lange Namensketten so einfach nicht verhindert werden könnten. Dabei haben Rechtsexperten immer wieder erklärt und geraten, einfach die Anzahlt der Namen zu begrenzen.

Herr Buschmann hat nun genau diesen Ansatz recycelt und neu für sich erklärt. Das ist eigentlich gar nicht so dumm. Der Vorschlag sieht vor, nicht mehr als zwei Namen zu gestatten. Das heißt, die nächste Generation der Kinder, mit einem Doppelnamen, müsste einen davon ablegen, sollten es sich bei der eigenen Eheschließung wiederum für einen Doppelnamen entscheiden. Viel schiefgehen kann hier wirklich nicht. Vielleicht einigt man sich nicht von vier auf zwei Namen. Oder, es wird endlich klar, wen der Eltern, die Tochter nun lieber hat.

All das hätten meine Frau und ich in Kauf genommen. Die Geschichte hat ja hoffnungsvoll begonnen. Es ist September 2022. Ich fülle das Namensformular nach der Geburt meiner Tochter aus. Auf dem Antrag vermerke ich einen Doppelnamen. Mit müden Augen reiche ich es in der Klinik ein. Der Doppelname klingt gut. Er ist lang. Das verleiht ihm irgendwie ein Hauch von Autorität. Nach ein paar Wochen ruft mich eine Beamtin zurück. Doppelnamen seien verboten. Das wusste ich schon, sage ich. Ich habe jedoch ein Ass im Ärmel.

Meine Frau ist Ausländerin. Sie hat ihren Namen bei der Eheschließung behalten. Wir hoffen, dass ihre amerikanischen Wurzeln oder ihre englische Staatsbürgerschaft uns dabei hilft, ausländisches Recht für den Namen unsere Tochter geltend zu machen. Gerüchte, dass das klappen könnte, schwirrten in Onlineforen für internationale Eltern herum. Weitere Wochen verstreichen. Dann die Bestätigung: Einen Doppelnamen wird es für unsere Tochter, so ohne Weiteres nicht geben. Frustration macht sich breit.

Ein Blick auf die meisten anderen europäischen Länder macht es nur noch ärgerlicher. Mit seiner Abneigung zu Doppelnamen steht Deutschland in Europa relativ alleine da. Selbst konservative Länder haben sich einen Namen mit einem liberalen Namensrecht gemacht. So ist der in Großbritannien “Double-barrelled” Name fast schon Kult. Andere Länder wie Spanien verfeinern den Doppel-Familiennamen zwar noch, schauen aber auf eine lange Tradition zurück. Generell klappt das Konzept Doppelname also wunderbar. Nur nicht in Deutschland. Was macht Deutschland eigentlich so anders?

Wer sich mit der Geschichte rundum der Regelung der Nachnamen näher befasst, stellt drei Dinge fest: Das deutsche Recht mit den Namen, ist eines der kompliziertesten der Welt. Dabei gibt es streng genommen das deutsche Namensrecht so eigentlich gar nicht. Wer Nachnamen ändern will, sollte am besten heiraten. Da sind wir beim Familienrecht und beim dritten Punkt. Das Recht ist eines der konservativsten, die es gibt. Denn Familienrecht sowie Steuerrecht motivieren traditionelle Muster von Ehe, Familie und Partnerschaft.

Was aber nun, wenn genau diese Konzepte stetig unbeliebter werden. Die Zahl der Eheschließungen sank bereits im Jahr 2021 auf ein historisches Tief, von nur etwa 360.000 neuer Ehen. Wenn aber die Tradition so wichtig für das Namensrecht ist, was macht dann das Namensrecht mit weniger Tradition?

Ich lese mir das PDF des Bundesjustizministeriums mit Beispielen zu den wichtigsten Neuerungen durch. Ich finde zumindest eine grundlegende Neuerung, die mit weniger Tradition auskommt. Unehelichen Kindern soll es gestattet werden, auch Doppelnamen der Eltern zu tragen. Das heißt, zum ersten Mal wird außerhalb der Ehe gedacht. Das grenzt schon an eine liberale Revolution. Für viele der über 4 Millionen unverheirateten Paare (2019) noch ohne Kinder könnte das durchaus eine Option sein. Keine Ehe und trotzdem eine Bindung der Elternteile durch einen Doppelnamen des Kindes. Hört sich doch gut an. Deshalb fällt die Ehe als Konzept nicht weg. Aber, die, die sie ablehnen, eröffnet es zusätzliche Möglichkeiten.

Ob jedoch der liberale Marco Buschmann von der FDP damit das höchst konservatives Namensrecht reformieren wird, ist unwahrscheinlich. Wer genau hinsieht, merkt auch: bei den Vorschlägen handelt es sich nicht einmal um eine richtige Reform. Vielmehr ist es eine weitere Abänderung des Gesetzes. Das könnte Probleme lostreten, die man heute gar nicht auf dem Radar hat.

Sollte Buschmanns Änderungen so kommen wie geplant, könnten Kinder mit Doppelnamen diesen nicht einfach so wieder ablegen. Zwar kämpft Buschmann dafür, dass Kinder geschiedener Eltern ihren Namen leichter änder können. Eine allumfassende Reform ist es aber trotzdem nicht. Eine echte Reform würde es möglich machen, frei Nachnamen neu zu wählen. Gefällt einem der Nachname nicht, so soll er einfach und schnell geändert werden können. Davon ist das Gesetz noch meilenweit entfernt, selbst mit Buschmanns Hilfe.

Buschmanns Vorschlag hat neben den Doppelnamen inhaltlich trotzdem einiges Gutes zu bieten. Es könnte zum Beispiel Deutschland als Einwanderungsland für Fachkräfte wettbewerbsfähiger machen. Deutschland brauch Arbeitskräfte. Eine Lösung für den wachsenden Fachkräftemangel ist es, ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland zu engagieren. Wenn Einwanderer Namenstraditionen nach Deutschland mitbringen und hier diesbezüglich enttäuscht werden, ist das kontraproduktiv. Der Vorschlag, Sorbinnen und Sorben ihre Namenstraditionen zuzusprechen, ist dabei positiv. Auch meine Frau hätte niemals damit gerechnet, dass wir in Bezug auf Doppelnamen für die Tochter einmal so gegen eine Wand laufen würden.

Meine Frau und ich sind nach dem ganzen Hin und Her mit dem Geburtenbüro jedenfalls sehr entmutigt. Wochen nach der Geburt brauchen wir jetzt schnell einen Namen für die Tochter. Der Traum von mehr Gleichberechtigung tritt in den Hintergrund. Pragmatismus setzt ein. Wir wählen meinen Namen als Nachnamen. Wir stellen jedoch den Namen meiner Frau als zweiten Vornamen der Tochter an. Das ist erlaubt. Die Beamtin findet das „kreativ“. Nun sind zumindest beide Namen irgendwie im ganzen Namen der Tochter verwurschtelt und auch auf ihrem Pass eingetragen.

Dass nun der Nachname meiner Tochter der des Vaters ist, hat damit zu tun, dass Pragmatismus dem Idealismus oft überlegen ist. Zwar ist es ärgerlich, dass unsere Namenswahl dem Patriarchat in die Hände spielt. Wenn es aber unser Leben als Familie erleichtert, können wir das verkraften. Meine Frau kommt aus dem Ausland, lernt gerade erst Deutsch. Da ich mich um den bürokratischen Kram mit den deutschen Ämtern für die Tochter kümmere, rät sie, ich solle von einem einheitlichen Namen profitieren können. Eltern greifen nach der einfachsten und hilfreichsten Lösung.

Diese Erkenntnis hilft auch dabei zu prognostizieren, wie viele Leute Buschmanns Doppelnamen am Ende etwas nützen könnten. Anne Rosar, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, erklärt, dass sich Paare nicht für einen Doppelnamen entscheiden würden, wenn ihnen die Kombination der beiden Namen nicht gefalle. Selbst wenn sie eigentlich gleichberechtigt sein wollen, würde so ein Doppelname nicht infrage kommen.

Wie viele sich am Ende für einen Doppelnamen begeistern können, könnte am Ende auch an Buschmanns Marketing für den Vorschlag hängen. In meinen Augen, bis jetzt ein deutlicher Fehlschlag. Es ist Ende März. Buschmann gibt seine Pläne auf Twitter preis. Dann hagelt es kritischen Kommentare. Der Bundesjustizminister solle sich doch bitte lieber um wichtigere Probleme des Landes kümmern, so die Kritiker: „Zum Glück haben wir keine anderen Sorgen“ schreibt einer.

Dass es andere große Baustellen in der Politik gibt, stimmt. Nach Angaben von Statista betreffen die wichtigsten politischen Probleme in Deutschland im April 2023 die Klimakrise, den Krieg in der Ukraine und die Zuwanderung. Von Namensrechtsreform ist da keine Spur. Aber große politische Problem stützen sich darauf, dass sie die Massen und ein persönliches Anliegen unter der Bevölkerung angehen. In meinen Augen erfüllen die Mängel des geltenden Namensrechts diese Kriterien schon länger.

Zu der Frage, wie „Mainstream“ das trockene Rechtssystem ist, hilft ein Blick auf die Statistiken. Das Recht regelte alleine 2021 Namen in 357,800 Eheschließungen und in 795 500 Geburten. Die meisten von uns kommen zumindest einmal, wenn nicht häufiger, mit dem Recht diesbezüglich in Kontakt. Wenn hier etwas falsch läuft, müsste es angegangen werden.

Die meisten Familien entscheiden sich für den Nachnamen des Mannes

Ob Buschmanns Vorschlag eine Auswirkung auf die Ehenamen-Statistiken haben wird, bleibt unklar. Laut einer Studie haben sich 2016 nur 6 % der Paare bei der Eheschließung für den Namen der Frau entscheiden. 13 % behielten ihren Namen. Fette 73,8 % der Fälle war es der Name des Mannes, der sich durchgesetzte. Wer sich die historische Entwicklung genau anschaut, bemerkt aber auch eine Flugbahn in die richtige Richtung. Während es 1976 noch 97,8 % waren, die den Namen des Mannes wählten, waren es 1996 nur noch 81,9 %. Und 2016 nun weniger als ein Drittel. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir Parität unter Familiennamen erreichen.

Frauke Rüdebusch von der Gesellschaft für deutsche Sprache und Autor der Studie sagte der SZ 2021, dass viele Paare die Entscheidung mit der Tradition und der geltenden sozialen Norm begründen würden. Wissenschaftlerin Anne Rosar, die auch zum Thema forscht, schreibt, dass trotz wachsender institutioneller Geschlechtsneutralität sich der Wandel des Namenswahlverhaltens von Paaren als träge verhielte.

Heutzutage entscheiden sich nur wenige Männer für einen Doppelnamen mit Bindestrich.

Eine weitere Frage ist: Wenn doch Frauen ihren Namen behalten können, warum gibt es dann trotzdem so viele gemeinsame Familiennamen? Rosar erklärt, dass ein gemeinsamer Familienname immer noch oft ein Ausdruck von Zusammengehörigkeit der Familie sei, „vor allem bei gemeinsamen Kindern, oder aufgrund von Tradition“. In den letzten Jahren hat Rosa Studientagungen mit einem provozierenden Titel wie „Nur Waschlappen und Weicheier nehmen den Namen ihrer Frau an“ organisiert. Den Titel habe sie in einem Forum gefunden. So würde das natürlich kein Proband sagen, sagt sie. Viele würde es dennoch weiterhin denken. Da hilft dann auch wenig eine weitere Option mit Doppelnamen.

Am Ende werde ich zumindest Buschmanns Vorschlag daran messen, wie stark es gegen die Väterherrschaft vorgegangen ist. Frauen bekommen für Familien Kinder, verdienen immer noch weniger als Männer und leisten deutlich mehr unbezahlte Arbeit in Haushalt und Familie.

Es wird endlich Zeit, dass die Gesellschaft mehr Gleichgerechtigkeit lebt und motiviert. Aber das Recht sollte gleichwertige Kompromisse nicht nur zulassen. Sondern sie motivieren. Für den Juristen und Namensrechtsexperten Anatol Dutta von der Ludwig-Maximilians-Universität München gelten Doppelnamen schon länger als wichtiges Element für die Gleichberechtigung. Mir erklärt Dutta, dass Frauen in der Namensfrage eine Auseinandersetzung oft vermeiden wollen und in der Regel beim Ehenamen und Familiennamen der Kinder zurückstecken würden. Buschmanns Vorschlag gehe dabei in die richtige Richtung, schreibt er mir. Hätte es aber so lange dauern müssen? Bereits die alte Bundesregierung hatte einen von Dutta und Kollegen ausgearbeiteten Vorschlag zu Änderungen in der Schublade. Vor 30 Jahren gab es schon mal einen ähnlichen Versuch. Und jetzt sollen wir plötzlich alle applaudieren, dass es ab 2025 Änderungen geben könnte?

Ein Zitat Buschmanns zu den Vorschlägen bringt zumindest meine Frustration auf den Punkt: „Das geltende deutsche Namensrecht ist in etwa so zeitgemäß wie ein Kohleofen…“. Wer die Klimadebatte aber kennt, weiß genau, dass wir am besten schon vor Jahrzehnten aufgehört hätten, mit Kohleöfen zu heizen. Ähnlich verhält es sich bei einer Namensreform. Besser damit später anfangen, als nie.

--

--

Techjournalist
Techjournalist

Written by Techjournalist

Investigative journalist with a technical edge, interested in open source investigations, satellite imgs, R, python, AI, data journalism and injustice

No responses yet