Anzeige: “Verkaufe Kriegstrophäe aus der Ukraine, inklusive Blutspuren”

Immer häufiger stolpert man im Netz über Anzeigen, die für den Verkauf von Kriegstrophäen aus dem aktuellen Ukrainekrieg werben. Handelt es sich hier nur um heißes Gerede oder machen hier wirklich Leute Kriegsbeute von gefallenen Soldaten zu Geld? Eine Kurzrecherche. B.H.

Techjournalist
14 min readOct 24, 2022
Übersicht an Angeboten von ukrainischen Anbietern auf eBay. Hier werden Kleidungsstücken, Ausrüstung und Ausstattung als Kriegstrophäen aus dem Ukrainekrieg angeboten. Wie es scheint, meistens von getöteten, gefangenen oder geflohenen russischen Soldaten. Die Beschreibung eines solchen „gebrauchten Artikels“ weist auf “Blutpartikel” hin, sich sich noch im Gegenstand befänden.

Das Angebot einer russischen Howitzer, mit über 200 Geboten, ist wohl einer der interessantesten Artikel auf dem Online-Marktplatz Wiolity, eine Art eBay für verrückte Ukrainer. Käufer müssten sich schon den Artikel selber abholen, heißt es. Das Maximalgebot geht in die Millionen von Euro hoch. Eine stolze Summe bedenkt man, dass es sich hier wahrscheinlich um einen verwahrlosten russischen Eisenschrank handelt, der hier mehr zum Spott der Besatzer als zur Gewinnmache verhökert wird.

Der Verkäufer macht es potenziellen Interessenten jedoch nicht leicht, einfach weiterzuklicken. Denn “das universelle Auto kann sowohl für die Arbeit als auch außerhalb der Stadt auf See für die Jagd verwendet werden”. Wer da nicht zuschlägt, ist selber schuld.

Die Aufnahme des Gefährts gibt Aufschluss darauf dass hier wohl etwas faul ist. Was hier oben im Bild präsentiert wird, ist wahrscheinlich nicht das Fahrzeug das wirklich zum Verkauf angeboten wurde, wenn überhaupt. Das ergeben Recherchen für den Abgleich von offenen Daten. Zeitlich passt das Bild nicht in den Kontext des Krieges, und die Beschreibung nicht zu den Umständen. Es wurde kurz nach der Invasion geschossen. Zwar wurde so ein bullige Fahrzeug im Zusammenhand eines Gefechts von den russischen Stellungen zurückgelassen, samt Equipment.

Die ukrainischen Truppen würden so ein Fahrzeug aber wohl kaum einfach zum Verkauf freigeben, kommentieren einige selbsternannte Experten auf social Media. Also wahrscheinlich eine falsche Spur, ein Täuschungsmanöver oder eine Propagandaaktion? Alles möglich. Wie heißt es von Aischylos so schön: Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Nichtsdestoweniger scheint das Interesse für den Verkauf von Kriegstrophäen beachtlich zu sein. Recherchen dieses Blogs zeigen nämlich, dass der Weiterverkauf und politische Präsentation von Kriegstrophäen sowie Diebesgut trotz aller falscher Spuren, zu einem echten Problem aufgestiegen ist.

Einen regen Handel im Internet gibt es — Beispiele sind meist von Ukrainern, die versuchen Beute von russischen Soldaten an Sammler mit tiefen Geldbörsen im Ausland zu verkaufen

Soldaten, die aktiv am Kampfgeschehen in der Ukraine teilnehmen— oder solche, die es irgendwie lebend wieder heraus geschafft haben — versuchen Waffen und Beute über das Internet zu verkaufen? Klingt erstmal gar nicht so abwegig. Irgendwie logisch, dass es immer schwarzen Schafe gibt, die sich bereichern wollen.

Klickt man sich aber durch die sozialen Netzwerke, die der Kreml nicht schon für die Bevölkerung unzugänglich machte — einige, wie Facebook, sind ja bereits blockiert, aber VK online Marketplace, oder Telegram bieten vielen Russen eine Plattform für den Handel— sieht es auf der russischen Seite eher mau aus.

Einerseits könnte das daran liegen, dass es bis vor kurzen in Russland offiziell so keinen Ukrainekrieg gab. Andererseits, hängen die meisten Soldaten immer noch in der Ukraine fest. Fraglich ist auch, ob es in Russland einen großen privaten Sammlermarkt gibt, die an ergaunerten Kriegstrophäen aus der Ukraine im Internet interessiert sind. Die Recherchen finden nur bedingt Beispiele. Also, hier ist erstmal Fehlanzeige.

Besonders stark, und vielleicht auch getrieben durch das internationale Interesse und Solidarität mit der Ukraine, ist aber das Phänomen auf der Gegenseite viel ausgeprägter. Viel Fantasie braucht man nicht, um sich vorzustellen, dass neben Waffen und Kleidung eine Reihe von weiteren erbeuteten Wertgegenstände zum Verkauf angeboten werden. Darunter gibt es alles, von wertvollen Uhren von russischen Piloten zu Russischen Zeitungen die Soldaten abgenommen wurden, die morbide Sammlerherzen höher schlagen lassen. Dann landen sie schnell im Internet. Sammler und Kriegsenthusiasten aus dem Ausland sind hungrig.

Dieser Blogpost verfolgt einiger diese Spuren im Detail mit offenen Daten (OSINT). Aus der Recherche ergab sich einerseits: Hier wird ein moralisch verwerfliches Geschäft betrieben, das sich teils durchaus transparent machen lässt. Aber nicht nur der Handel von Trophäen für Profit steht im Zentrum der Debatte. Auch werden von beiden Seiten Kriegstrophäen im Zuge von Propagandakampagnen gehypt.

eBay

Als Portal für Schleuser ist eBay seit Jahren eine gute Wahl, so scheint es. Jahrelang kämpft die amerikanische multinationale E-Commerce Plattform angeblich gegen den Handel von unerlaubten oder moralisch bedenklichen Artikeln. 2020 musste eBay 257.000 Angebote blockieren, da diese gegen die Richtlinien für den Handel von verbotene Wildtieren verstoßen haben — knapp 12 Jahre nachdem die Plattform Usern den Handel von Elefantenelfenbein untersagte.

Gibt man heutzutage in eBays Suchmaske die in Englisch verfassten Stichwörter “Ukraine Russian Trophy” bekommt man sofort fasst 150 Artikeln, (angeblich) aus dem aktuellen Ukrainekrieg serviert.
Wer Fragen hat, solle doch bitte den Verkäufer direkt kontaktieren, heißt es. Zu einigen Artikeln gibt es aber eine fundierte Beschreibung. Einige Verkäufer geben sich Mühe die Umstände, also Ort und Zeit der Beschlagnahme, im Detail zu umschreiben.

Wie bei einem Kopfschutz eines verendeten russischen Soldaten. Nun als Kriegstrophäe für schlappe $320.00 geboten. Der eBay Account wirbt mit schnellen Lieferzeiten. In wenigen Wochen soll der angebotenen Artikeln verschickt und schon beim Kunden sein. Zielgruppe, so geben die Beschreibungen in Englisch zu verstehen, sind Bürger aus dem Westen, also aus den Vereinigten Staaten oder Großbritanniens. Aber auch nach Deutschland könne verschickt werden.

Dass es sich hier im Beispiel um den Kopfschutz eines getöteten Menschen handelt, der Familie und Angehörige hat, die einen Mitmenschen verloren haben und vielleicht nicht mit Putins Krieg am Hut haben, wird ignoriert.
Es stört Anbieter Atttract_Attention, der 50 andere ähnliche Gegenstände bereits verkauft hat, zum Beispiel auch nicht, den Artikel (siehe Bild) mit der folgenden Beschreibung zu bewerben: “Trophäe kann kleine Blutpartikel enthalten”. Das kann natürlich auch nur Show sein. Aber einen gewissen morbiden Kitzel löst es aus (wobei sich einige Spüren erkennen lassen).

Sind die Gegenstände echt? Bei einigen Artikeln ist das schwer zu sagen. Verifizierungsrecherchen einiger Beispiele zeigen jedoch: einige Angebote machen durchaus einen seriösen Eindruck. Also das heißt sie könnten aus dem Ukrainekrieg stammen. Beschreibungen passen zum Beispiel zum Kriegsverlauf. Uniformen und Patches passen zu Bildern aus dem Krieg. Und so weiter und sofort.

Beschämenderweise werden viele Artikel als „gebraucht“ beschrieben. Wenn im Zusammenhang dieser Gegenstände Soldaten getötet wurden (und sogar Schusslöcher aufweisen), ist das nicht weniger als eine glatte Untertreibung.

Da kommt die Frage auf: Ist das überhaupt erlaubt? Gesetzlich fällt der Verkauf wohl in eine Grauzone. Moralisch ist das Geschäft natürlich höchst verwerflich zu beurteilen. Nichtsdestotrotz, einen Wert könnten diese Angebote trotzdem anderswo haben. Für die Recherche und als Zeitzeugen von gefallen oder gefangenen russischen Soldaten könnten die Bilder und Daten vielleicht noch mal hilfreich sein.

Ein eingespieltes Netzwerk an Betreibern

Was auffällt: einiger der Artikel wahrscheinlich durch dieselben Hinterleute von Profilen angeboten werden. Dafür spricht zum Beispiel der Hintergrund in einigen Bildern der Artikelfotos — und andere Details wie markante blauen Handschuhe eines Fotografen die immer wieder auftauchen, oder die aus der Ukraine stammende Wasserflasche der Marke KARPATSKA DZHERELNA die Kopfbedeckungen von Soldaten zur Schau stellt. Details die auch in Angeboten der eBay Profile StandWithUA und Goodmood-ua2020 und anderen wieder und wieder auftauchen.

Daten zu den bereits verkauften Gegenständen der Accounts erzählen ihre eigenen Geschichte, so zum Beispiel dass es sich hier um ein womöglich rentables Geschäft handeln könnte. Einerseits kann man aus den eBay Profilen ablesen, dass durchaus Nachfrage besteht (Goodmood-ua2020 hat schon über 2000 Gegenstände verkauft, jedoch nicht alle direkt aus dem Krieg). Andererseits leuchtet ein, dass die Leute hinter den Profilen den Verkauf wohl als solide Einkommensquelle betreiben.

“Für den Guten Zweck" tauch auch als Rechtfertigung auf : Manch einer der recherchierten eBay Profile die Ukraine Kriegstrophäen anbietet versprechen dass der Erlös Truppen zu gute käme— um zum Beispiel Autos zu kaufen. Verifizieren lässt sich das jedoch nicht. Ob das wirklich moralisch zu befürworten ist, sei jetzt Mal dahingestellt.

Keine Frage. Viele Angebote legen die grausame Realität des Ukrainekrieges nahe. So wird eine Jacke eines „liquidierten Soldaten“ einer russischen Spezialeinheit. Angeboten für 150USD. Relativ zu den Preisen anderer Artikel, ein Schnäppchen, könnte man fast meinen. Der Mann sei im September von ukrainischen Truppen im Donbass getötet worden.

Aber auch hier wird der Wert für die Dokumentation und Recherche schnell einleuchtend. In einigen Fällen werden die Gegenstände potenziell zu wichtigen Zeitzeugen. Eine Kriegstrophäe des Accounts mpc2500 bietet eine Pin eines Soldaten einer Spezialkräfte Einheit and, die angeblich in der Stadt Butscha zum Einsatz gekommen sein soll. Ein Tag später ist der Artikel bereits verkauft worden.

Ein Pin der angeblich in der Stadt Butscha, in der russische Kräfte ein Massaker an Zivilisten angerichtet haben. Es sei in einer “verlassenen Stellungen der russischen Besatzer gefunden worden!”, so die Beschreibung auf eBay.

In anderen Fällen finden sich persönliche Informationen von russischen Soldaten wieder. Der Anbieter eines Setz an „persönlichen Dokumenten eines russischen Militärpolizisten“ erlaubt den Fall eines Mannes, Tkachev Vitaly Aleksandrovich (Ткачев Виталий Александрович) nachzuzeichnen. Daten eines Aleksandrovich lassen sich mit russischen Datenbanken abgleichen. Den Mann gibt es wirklich. Die Geschichte die der eBay Nutzer erzählt, klingt plausibel.

Angebot von Dokumenten eines russischen Soldaten der “Militärpolizei”

Auch im Zusammenhang mit der gefürchteten Einsatzgruppe Wagner werden Artikel vertrieben. Ob diese von getöteten Soldaten stammen, könnte nicht verifiziert werden.

Oben, das eBay Angebot für einen Wagner Patch (einen Klettaufnäher) mit der Aufschrift “ICH GLAUBE AN NICHTS, ICH BIN NUR WEGEN DER GEWALT HIER”. Es (oder der Soldat mit dem Patch) sei erst kürzlich “in der Region Kherson” geschnappt worden. Ob lebend oder tot, ist nicht angegeben. Unten: Der Abgleich: eines diese Patches (nicht dasselbe) von zweier angeblich in Chevron getöteten russischen Soldaten. Man habe sie im Juni in der Nähe von Bachmut liquidiert, heißt es. Verifizieren ließ sich das nicht.
Auch „Secondhand“ Jacken von angeblich umgebrachten Mitgliedern von Spezialeinheiten werden angeboten.

Waffenverkäufe

Vielleicht gelten sie nicht direkt als Kriegstrophäen. Kleinfeuerwaffen und Sturmgewehre werden aber gerade jetzt in und rund um der Ukraine heiß gehandelt. Im Krieg stirbt so nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Skrupel unter der Bevölkerung sich schwer zu bewaffnen.

Zumindest scheint es so wer einen Blick ins Internet wirft. Wenn es um Waffen geht, ist Telegram sicher einer der einflussreichsten Portale neben dem Darkweb. Nicht jedes Angebot ist seriös. Nichtsdestoweniger hat sich Telegram als fester Bestandteil der legalen und besonders der illegalen Waffenhandelsszene etabliert. Nachfrage gibt es auch aus der Ukraine. Gerade jetzt müsse man sich verteidigen können, so ein Nutzer. So manch einer der immer noch im Kriegsgebiet lebt und arbeitet und unter der ungerechten Belagerung Putins leidet, möchte sich schützen. Zwar gab es Mal Zeiten in denen die Regierung Waffen an die Zivilbevölkerung aushändigte. Aber die seien vorbei.

Anonym und trotzdem recht zugänglich, vertreiben so Waffenhändler ihre Waren auf ukrainischen Kanälen and ukrainische Abnehmer. Das Portal hoXXXX (hier extra nicht betitelt , um Werbung für den Betreiber zu vermeiden) bietet Ukrainern alles von einer gebrauchten Ak-74 bis hin zu größeren und noch schwereren Maschinenpistolen und Geschützen, einige auch deutscher Bauart, wie Recherchen zeigen.

Die Firma, die diese Waffen vertreibt, ist offiziell in Tallinn ansässig. Ein unscheinbares Haus, das in einer Seitenstraße versteckt ist. Hier lässt sich nur schwer erahnen, was vor sich geht — scharfe Feuerwaffen (meist viel zu teurer als der typischen Einzelhandelspreis in anderen westlichen Ländern, wenn sie denn dort erlaubt sind) werden an besorgte ukrainische Bürger vertrödelt. Dass hier das Kriegsgeschehen als Werbefläche genützt wird, ist nicht schwer zu erkennen. Die Webdomain wurde übrigens in Kyiv von der Firma Internet Invest registriert. Mehr bleibt im verborgenen. Man will sich schützen.

Die Beschreibung eines Ukrainischen online Waffenhandels: “Kostenlose Kleinanzeigen kaufen-verkaufen gebrauchte Waffen für die Ukraine. inclusive Kommissionsverkäufe von Waffen”.

Wie viel Erfolg der Waffenhändler in der Ukraine wirklich hat, lässt sich nicht nur schlecht einschätzen. Nach den Zahlen der Likes zu urteilen, ist das Geschäft noch relativ dürftig ausgeprägt. Es gibt aber immer weitere Kanäle.

Kann man einfach so Waffen handeln? Zwar hat die Ukraine Regeln wer Waffen besitzen darf? Sie sind aber nicht, wie in anderen Ländern, gesetzlich geregelt. Das heißt es ist das einzige Land in Europa, in dem Schusswaffenregulierungverorfnungen nicht ins Gesetzt geschrieben sind. Alles, was mit Schusswaffen zu tun hat, wurde bis zum Krieg durch die Verordnung Nr. 622 des Innenministeriums kontrolliert.

Bürger dürfen nicht-vollautomatische Gewehre und Schrotflinten besitzen, solange sie bei Nichtgebrauch ordnungsgemäß aufbewahrt werden. Das habe sich erledigt, nachdem der russische Präsident Putin Truppen in die Ostukraine beordert hatte. Das ukrainische Parlament verabschiedete so ein Gesetz, das es den Bürgern erlaubt, in der Öffentlichkeit Schusswaffen zu tragen zusammen mit der Verhängung des Ausnahmezustands.

Verkauf eines Sturmgewehrs, mit Ukrainer als Zielgruppe

An anderer Stelle wird teuer auf Facebook Marketplace Kampfschutzkleidung verkauft. Eine kugelsichere Weste wird so für schlappe 1600 USD aus der Stadt Brovary angeboten. Das ist ein zu stolzer Preis. Eine ähnliche Weste würde nicht mehr als ein paar hundert Dollar in Amerika kosten. In Deutschland, wo das tragen einer solchen Weste auch erlaubt ist, kann man ein Model auch schon für ein paar hundert Euro erwerben. Durch den Invasionskrieg ist aber die Nachfrage an kugelsicheren Westen in den Himmel geschossen. Auch für Kinder sei die Nachfrage groß. Denn der größte ukrainische Produzent solcher Westen, Lviv Defense Cluster, diversifiziert momentan um die Anfrage für Modelle für Kids zu decken.

Dazukommt: das Angebot an solchen Artikeln schrumpft. Russische Drohnen und Raketenangriffe haben wichtige Zulieferwege abgeschnitten. Dass nun einige Leute diese Situation schamlos für den Eigenvorteil ausnutzen, lässt sich auf Facebook Marketplace leicht verfolgen (siehe Bild). Auch aber hier muss Vorsicht walten lassen, denn was echt ist lässt sich dann erst verifizieren wenn man bereits das Geld überwiesen hat. Andere Merkmale wie Daten zu ehemaligen Verkäufen helfen auch.

Eine kugelsichere Weste für 1600 USD, das liegt weit über dem Normalpreis. Dazu wird vom Verkäufer auch ein Erste-Hilfe-Kasten angeboten, für 15 Euro, jedoch viel erschwinglicher.

Nicht alle Angebote sind seriös

Die russischen Online Handelsseite Avito, hat im April Alarm geschlagen. Kriegstrophäen seien auf dem Portal angeboten worden die jedoch angeblich Fakes seien. Dass nicht alles echt ist, versteht sich von selbst. Was authentisch ist, scheint aber auch nicht immer nur von großen materiellem Wert geprägt zu sein. So kann ein zersplittertes Stück einer gesprengten Rakete — ein Beweisstück für Gräueltaten der russischen Streitkräfte zum Beispiel — , auch mal schnell zu einer Art Kriegstrophäe mutieren. Zumindest erzählt das eine Geschichte der New York Times, die im Juli erschienen ist.

Nur ein hässliches Stück Stahl? Ganz und gar nicht. Ein Teil einer Rakete wird prompt zur Kriegstrophäe erklärt, und Bestandteil einer Sammlung eines Aktivisten, der das Fundstück von der Unglücksstelle entwendet habe.
Mitunter befänden sich in seiner Sammlung auch Munitionsdosen, Teile gebrauchter Panzerfäuste und ein Paar schwarzer russischer Stiefel aus der ukrainischen Stadt Butscha ; Memento, die sicher besonders an grausame Kriegsverbrechen der russischen Soldaten in der kleinen Stadt erinnern.

Als Kriegstrophäen gelten auch die Fundstücke, die nicht verhökert werden, sondern für Propagandazwecke der jeweiligen Seite genutzt werden. Oft ist dann das Ziel Einigkeit gegen den Feind in den eigenen Reihen zu stärken oder einfach den Feind zu verspotten. Im Sinne von: »Schaut her, wir haben euer Equipment. Wir machen damit sogar noch Kohle».

By Anya Free, Ph.D. Candidate in History, University of California, Davis, Quelle) — ganz Rechts: eine Russische Rationsbox auf eBay

Als die ukrainische Regierung kürzlich ihren Unabhängigkeitstag Ende August feierte, ähnelte das Schauspiel, das der sowjetischen Regierung, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hat Russland den Sieg gegen Nazideutschland gefeiert.

Ausgebombte Fahrzeuge, Geschütze, Panzer, und andere von russischen Truppen erbeutete Utensilien aus dem aktuellen Kriegsgeschehen wurden in den Straßen von Kiev ausgestellt.

Russland führt seinerseits aus-dem-Krieg erbeutete Waren vor, wie zum Beispiel angeblich abgeschossene ukrainischer Raketen. Auf einer russischen Waffenmesse des Kremls, ein jährliches Rüstungsspektakel, bei dem nach russischen Informationen Militärdelegationen aus 72 Ländern teilnahmen, wurde im August eine abgestützte Tochka-U-Rakete vorgeführt. Es solle sich um ein ukrainisches Modell handeln, so der Organisator. Eine Ukraineflagge wurde liebevoll draufgemalt. Verifizieren lässt sich, dass es sich wirklich um das Model Tochka handelt. Soviel entspricht der Wahrheit.

Da dieser Raketentyp auch von Russlands Arsenal geführt wird, und aktiv in der Ukraine gegen Zivilisten eingesetzt wurde, wirft diese Zurschaustellung von falschen Tatsachen erst Fragen und dann Kopfschütteln aus.
Eine genauere Analyse der Bilder von der russischen Messe zeigt nämlich eine Beschreibung der angeblichen Rakete und die Absturzstelle, um die es hier gehen soll. Ein Abgleich mit Bildern aus dem Kriegsgebiet zeigt aber: Es handelt sich nicht um dieselbe Rakete. Und: Es geht um einen Vorfall, der höchst umstritten ist und Russen selber zu Tätern macht.

Der Raketenabschuss, so liegt von der ukrainische Beweisführung vor, um den es sich hier handeln soll, wurde in Wirklichkeit von Russland verübt. Bei dem Angriff im April auf den Hauptbahnhof von Kramatorsk wurden 52 Menschen getötet und hundert verletzt.

Zwar behauptet der Kreml, dass es auf der Rakete selbst Hinweise gäbe, dass diese sie aus dem ukrainischen Lager stamme. Der in Ukrainisch aufgesprühte Spruch: “Wegen den Kindern” wurde hierfür als angeblichen Beweis angeführt (ukrainische Truppen würden das den Russen vorwerfen. Es könnte aber durchaus auch von den russischen Kräfte so markiert worden seien. Beweise gibt es nicht).

Die ukrainische Berichterstattung fügt noch weitere durchschlagendere Argumente an. Die russischen Behörden im Einklang mit ihrer langjähriger Politik und ihren Traditionen bestritten, den Angriff ausgeführt zu haben. Sie machen alleine die Ukraine für den Angriff verantwortlich. Dagegen spricht: ein kremlnaher Telegram-Kanal warnte nur kurz vor dem Angriff noch Reisende nicht mit der Bahn von Kramatorsk zu fahren. “Ich rate den Bürgern, die jetzt aus Slawjansk, Kramatorsk und den nahe gelegenen Siedlungen evakuiert werden, die Städte nicht mit der Bahn zu verlassen”, hieß es in dem Posting, das auch selbst am Tag des Angriffs, und kurz nach dem Vorfall, noch abrufbar war. So eine Nachricht der Russen ist keine Seltenheit und wurde in anderen Beispielen, bei denen sich Russland zu Angriffen bekannte, auch so verfasst.

Wenige Minuten nach dem Angriff veröffentlichte dann ein anderer kremlfreundlicher Telegramm-Kanal ein Video vom Bahnhof Kramatorsk mit dem Untertitel: “Der Angriff galt einer Ansammlung von Kämpfern der ukrainischen Streitkräfte”. Kurz nach diesem Post hat sich die russische Führung es wohl anders überlegt. Der Post verschwand auch wieder — nachdem klar wurde, dass Zivilisten getötet wurden. Mehr, mit offenen Daten, lässt sich hier nur schwer festmachen. Aber die Fülle der Zufälle ist überwältigend.

Vergleich von Bildern von der Russischen Militärmesse die in der Beschreibung eine verfälschte Darstellung eines Russischen Luftangriffs liefert.

Nochmal zur Wiederholung: Das russische Verteidigungsministerium bestreitet also, dass Russland an einem angeblichen Raketenangriff auf den Bahnhof in Kramatorsk überhaupt beteiligt war. Es gäbe in diesem Gebiet überhaupt keine russischen Einsätze, hieß es. Es könne sich also bei den Trümmern einer Tochka-U-Rakete nur um eine „von ukrainischen Streitkräften verwendete“ Rakete handeln. Diese Argumentation von den Russen kennt man bereits. Schuld wird so einfach von sich gewiesen, wie das auch in anderen Teilen des Landes so gemacht worden ist.

Nicht nur ukrainische Waffen, Einsatzfahrzeuge und Panzer werden von Russland als Trophäen ausgestellt. Im Hintergrund hat der Photographen Wassili Iwanow für die russische News Agentur REGNUM Messebilder von den ausgestellten Utensilien ins Netz gestellt.

So erscheint auch ein Bild eines Fahrzeugs der Deutsche Bundeswehr. Die Maschine sei vom Bund zur „maschinellen Beseitigung von Landminen und anderen Sprengkörpern“ eingesetzt worden und dann von Russland erbeutet worden, heißt es. Der Mine Wolf, made in Germany, ist auch wirklich in Kriegsgebieten, wie im Sudan, zum Einsatz gekommen (Im Internet ist dazu auch ein Dokument der Bundeswehr erschienen).
Fragt sich nur, wie dieses Exemplar, zusammen mit dem Bomebdetektor (Modell Ferex 4.032, der aus-Reutlingen stammenden Firma Foerster), in Gelb, in die Hände russischer Truppen als Kriegstrophäe gelangen konnte.

Plünderungen

Die ukrainische Presse interessiert sich für russische Soldaten, die angeblich Diebesgut gestohlen haben sollen. Was dies unter der eigenen Bevölkerung auslöst ist klar: es treibt den Widerstand gegen die Besatzer an. Im April sind ukrainische Einheiten per Zufall auf einen von russischen Soldaten verlassenen Personaltransporter gestoßen. Zwar entkam die Besatzung des Gefährts. Was die Soldaten jedoch zurückließen, überraschte die 28. Gebirgsangriffsbrigade der Transkarpatien-Legion. Geraubtes Geld und Laptops, angeblich von Häusern ukrainischen Bürgern geplündert. Verifizieren lässt sich dieser und andere ähnliche Fälle aus der ukrainischen Medienlandschaft nur schwer. Die Bewohner einer Siedlung, nicht weit vom Kriegsgeschehen, sollen versichert haben,dass ihnen die Habseligkeiten gehörten, heißt es.

Während eines Gefechts mit der russischen Armee beschlagnahmten die Sturmtruppen einen Gefechtstransporter als Trophäe. Dessen Besatzung floh, nachdem Granaten die Räder des Fahrzeugs beschädigt hatten.
Im Fahrzeug befanden sich mehrere Laptops und ukrainische Banknoten. Die Laptops wurden von den Bewohnern des nicht weit vom Schlachtfeld liegenden Dorfes erkannt. Nach ihren Angaben nahmen die russischen Soldaten ihre Haushaltsgeräte, Geld, Kleidung und Lebensmittel mit und durchsuchten die Häuser, die von den aus dem Kampfgebiet evakuierten Eigentümern zurückgelassen wurden. Sie waren auf der Suche nach allem, was wertvoll ist, und nach Alkohol, so behaupten es die Verteidigungskräfte der Region Saporischschja. “Sie nahmen Decken und Matratzen mit, holten Konserven aus den Kellern und entfernten Vorhänge von den Fenstern. Versuchte einer der Dorfbewohner zu protestieren, drohten sie mit der Waffe“.
Auf dem Foto: ein Laptop und ein Päckchen Griwna-Banknoten aus einem russischen APC. Im Hintergrund ist eine Ration der russischen Armee zu sehen.

Natürlich werden nicht nur Gegenstände gestohlen, weil sie als Kriegstrophäen gelten oder weil andere ihren ihnen so einen besonderen Wert zuschreiben. Abgesehen von der Gier zu stehlen werden manchmal Dinge einfach im Krieg entwendet, weil sie den Soldaten persönlich zu diesem Zeitpunkt nützen.

Für zwei Soldaten, wie im Video unten, war es eine Waschmaschine, die es ihnen angetan hat. Keine Kriegstrophäe und trotzdem ein dreckiges Geschäft. Für diebische Soldaten, die auf dem Video einer ukrainischen Drohne erwischt werden, war die Trophäe wohl saubere Wäsche in einem schmutzigen Krieg.

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